Rover 75

Die großen britischen Automarken der 50er, 60er und 70er Jahre waren Ende der 90er Jahre in die Jahre gekommen. Rover ist seit 2005 vom Markt verschwunden und nur die einstigen Teile Land Rover und Mini feiern unter fremder Regie fröhliche Urstände. Zuletzt hatte BMW bei Rover das Ruder übernommen und setzte sein Kapital ein, um vom ehemaligen Glanz eines der Flaggschiffe der britischen Automobilindustrie zu profitieren. Heute wissen wir, dass es das „letzte Gefecht“ war. Aber die letzten Rover waren moderne Fahrzeuge, die technisch auf der Höhe der Zeit waren.

1998 brachte Rover unter BMW-Regie Rover das Modell 75 auf den Markt, nach langer Zeit wieder eine Eigenentwicklung und eine Abkehr von den Honda-Vorbildern, die bis dato das Überleben der Marke gesichert hatten. Der Autor fährt seit 2013 den hier präsentierten 2,0-Litre-V6 Benziner im Farbton Atlantic Blue mit Automatik, der 2001 die Werkshallen verlassen hatte.  Um ein wenig Übersicht bei dieser Beschreibung zu schaffen, habe ich die einzelnen Kategorien für mit Union Jacks bewertet, wobei folgendes Schema gilt: 4 Union Jacks – Exzellent; 3 – Gut; 2 – Akzeptabel; 1 –Das sollte wirklich besser sein. Allerdings gebe ich zu bedenken – es ist eine rein subjektive Wertung auf Basis meiner eigenen Erfahrung.

Motorisierung – Der hier präsentierte kurzhubige 2,0-Litre-V6 Benziner mit relativ geringem Hubraum bedarf eines beherzten Umgangs mit dem Gaspedal, um ihn flott in Bewegung zu setzen. Dann dreht er hoch, aber das Motorengeräusch passt irgendwie nicht zur britischen Club-Atmosphäre des Innenraums. Es sei denn, die Club-Mitglieder haben alle in der heimischen Garage neben dem Bentley heimlich einen italienischen Sportwagen geparkt. Einmal in Schwung gebracht, gleitet der Rover jedoch mit britischer Adelsattitude dahin und qualifiziert sich als angenehmes Langstreckenfahrzeug. Einst schrieb ein britischer Journalist über den P6, dass er dazu konstruiert worden war, um Manager so bequem und zuverlässig wie möglich von einem Ende des Landes zum anderen zu transportieren. Dieser Tradition ist Rover mit dem 75 treu geblieben.

Der Rover fährt auch brav seine ihm bescheinigten 205 km/h (GPS-Messung). Den kleinen V6 hatte man eingeführt, da zu damaliger Zeit ein Trend zu 6-Zylinder-Motoren beobachtet worden war. Downsizing war noch kein Thema und die Abgasgesetze noch kein Hemmschuh. Hier eine kleine Übersicht über die anderen erhältlichen Motorisierungen (in Klammern: Automatik-Version):

Rover 751,81,8 Turbo2,0 V6 2,5 V6V8 Autom.2,0 CDT2,0 CDTi
Bauzeit1998 – 20052001 – 20051998 – 20051998 – 20052004 – 20051998 – 20052001 – 2005
Bohrung x Hub80 x 89,3 mm80 x 89,3 mm80 x 66 mm80 x 82,8 mm90,2 x 90 mm84 x 88 mm84 x 88 mm
Hubraum1.796 ccm1.796 ccm1.991 ccm 2.497 ccm4.601 ccm1.951 ccm1.951 ccm
Leistung120 PS/5.500150 PS/5.500150 PS/6.500177 PS/6.500260 PS/5.000116 PS/4.000131 PS/4.000
Drehmoment160 Nm/4.000215 NM/2.100-4.000185 Nm/4.000240 Nm/4.000410 Nm/4.000260 Nm/2.000300 Nm/1.900
Beschleunigung 0-100 km/h10,9 s (12,3s)9,1 s9,6  s (10,8 s)8,2 s (8,9 s)6,8 s11,0 s (12,3 s)11,0 s
Höchst-geschwindigkeit195 km/h (190 km/h)210 km/h210 km/h (205 km/h)220 km/h (215 km/h)243 km/h194 km/h (190 km/h)192 km/h
Verbrauch in l/100 km (ECE-Durchschnitt)7,8 l (10,0 l)8,0 l9,4 l (11,1 l)9,6 l (11,6 l)13,4 l6,0 l (6,9 l)16,2 l

Die Benziner sind Rover-Entwicklungen, die Diesel stammen von BMW. Leider leiden die 4-Zylinder-Modell 1,8 und 1,8 T häufig unter durchgebrannten Zylinderkopfdichtungen, die 6-Zylinder jedoch sind standfest und zuverlässig. Der V8 wurde aus den USA zugekauft und trieb dort den Ford Mustang an.

Getriebe – Die Rover-Automatik macht sich beim Einlegen des 1. Ganges nicht selten durch ein Ruckeln bemerkbar. Einmal in Bewegung, erfolgen die Gangwechsel eleganter, aber dennoch in der Regel leicht spürbar. Nervös wird das Rover-Getriebe erst, wenn man den Kickdown fordert oder bei schnellen Gaswechseln. Ganz klar, der Rover ist ein Gleiter, kein „Burner“.

Geräuschentwicklung – Der Rover profitiert von seiner guten Geräuschdämmung und seinem ruhig laufenden 6-Zylinder-Motor. Ein sehr angenehmer Reisewagen, der nur laut wird, wenn man ihn fordert.

Qualitätsanmutung – Der Rover sieht solide aus und ist gut verarbeitet. Letztlich sind es nur Kleinigkeiten, die diesen Eindruck manchmal stören, wie beispielsweise die etwas fragil anmutenden Getränkehalter oder die Qualität des Leders. Dafür verbreitet das Armaturenbrett in Echtholz (ab 2002 leider durch Imitat ersetzt) britische Club-Atmosphäre..

Zuverlässigkeit und Mängel – Gleich vorweg – Rost ist kein Thema! Neben den üblichen Verschleißteilen gab es in den letzten Jahren leider die Notwendigkeit, zwei Mal den Kühler zu erneuern. Zudem sorgte ein defekter Nockenwellensensensor dafür, dass der Motor stumm blieb, und auch die Aufnahme der Federbeine vorne links sorgte für „durchschlagende“ Verwirrung. Weiterhin gab es einen Wassereinbruch im Kofferraum wegen mangelnder Dichtung. Ansonsten verrichtete der Wagen jedoch zuverlässig seine Arbeit. Man darf nicht vergessen, dass er bei Kauf bereits über 10 Jahre alt war.  „British Elend“ also? Nein, das erscheint eher als Mythos aus vergangenen Zeiten. Viele andere „zuverlässige Marken“ deutscher Provenienz sind nicht besser, was diese Kategorie angeht.

Innenraum – Der Rover verfügt wie bereits erwähnt über ein hölzernes Armaturenbrett und vermittelt so die gewisse britische Clubatmosphäre (wahrscheinlich einer der Gründe, warum man „typisch britisch“ kauft). Dazu trägt natürlich auch die Lederausstattung bei. Und natürlich wird die Sitzfarbe nicht als Schwarz bezeichnet, die Nachfahren Shakespeares verwenden lieber blumigere Beschreibungen. Im Rover heißt die Farbe Ash Grey. Zudem sind die Keder grau abgesetzt, was zusätzlich edel wirkt.



Bei den Instrumenten dominiert das Oval. Sie sind beige hinterlegt und generieren so einen sehr originellen Retro-Eindruck. Meine erste Assoziation als ich die Instrumente erblickte war „Eierbecher“. Nachts erstrahlen die Skalen und Knöpfe in Orange.
Was die Größe des Innenraums angeht, bietet der Rover viel Platz. Außerdem verfügt der Wagen über viele praktischere Ablagen, auch hinten.



Das mit Leder ummantelte Lenkrad des Rover  kommt wuchtig daher, als wolle es den Fahrer vor dem Wüten der Kolben unter der Motorhaube beschützen. Na ja, damals brauchten Airbags eben noch ein wenig mehr Platz als heute.

Kofferraum – Der Kofferraum des Rover fasst 432 Liter, was zunächst sehr durchschnittlich klingt. Glücklicherweise ist er aber gut geschnitten, so dass sich der Raum gut ausnutzen lässt.

Sitze – Wer wie ich fünf Jahre in einem durchgesessenen Fauteuil verbracht hat, ist für gute Sitze sehr dankbar. Die Sitze im Rover sind mit einer großen Sitzfläche ausgestattetet und sehr komfortabel. Ein nettes Detail, das einen sehr eleganten Eindruck vermittelt: Auf den Kopfstützen vorn ist das Rover-Logo eingestanzt, was ab 2002 leider aufgrund von Sparmaßnahmen wegfiel.

Straßenlage – Der Rover gleitet bequem dahin und ist komfortabel gefedert. Wer nun vermutet, dass die Straßenlage schwammig ist, wird bereits in der ersten Kurve eines Besseren belehrt. Der Rover meistert Kurven souverän  und das Fahrwerk teilt dem Lenker unmissverständlich mit, dass es eindeutig zu Höherem berufen ist.

Ökonomie – Der 2,0-Liter V6 ist weder Schluckspechte, noch Kostverächter. Nach damaligen Maßstäben ist der Verbrauch angesichts der Wagenklasse als in Ordnung zu beurteilen. Mein Rover verbraucht aber immerhin etwas weniger, als die angegebenen 11,1 l/100 km (meist zwischen 9,5-10,5 l/100 km), aber unter 8 l/100 km sind nur schwer zu realisieren. Und übrigens – unser ehemaliger VW Golf IV 1,6 Automatik von 2004 gönnte sich auch gern 8 Liter Super und mehr auf 100 km. Damit verglichen ist der Rover sogar relativ sparsam.

Sicherheit –  Von diesem Aspekt gibt es quasi nichts zu berichten. Der Wagen verfügt über eine umfangreiche Sicherheitsausstattung mit mehreren Airbags und war auf der Höhe der Zeit. Wer Unfälle in einem Oldtimer fürchtet, findet hier eine sichere Zuflucht.

Fazit –Wer einen „modernen“ britischen Klassiker sucht, mit dem man auch mal durch die Waschanlage fahren und in dem man bei sommerlichen Temperaturen Dank Klimaanlage einen kühlen Kopf bewahren kann, ist mit dem Rover 75 gut bedient.

Wer wie ein britischer Lord das Land bereisen will (natürlich wie ein verarmter Lord, die wohlhabenden fahren Fahrzeuge, für die man leicht ganz viele Rover kaufen kann), trifft mit dem Rover 75 eine exzellente Wahl. Der Rover 75 verkörpert „das gewisse Etwas“ und hebt sich aus der Masse wohltuend hervor. Wer auf eine souveräne Motorisierung Wert legt, sollte dabei in jedem Fall einen Blick auf die 2,5-Liter Version werfen, bei den Dieseln schränken fehlende Partikelfilter, die Verwendbarkeit ein. Die 4-Zylinder hingegen sollte man mit Vorsicht genießen. Preislich jenseits von Gut und Böse sind die V8-Motoren amerikanischer Provenienz. Ja, sie sind selten, aber das Preis-Leistungsverhältnis werden nur echt fanatische Fans mit entsprechendem Geldbeutel als akzeptabel einstufen.   

Noch kann man den Rover 75 als lächerlich preiswert bezeichnen, auch wenn die Preise für gute Exemplare langsam anziehen. Ab 3.000 Euro kann man akzeptable Exemplare erwerben. Sicher brauchen jedoch die Käufer des Rover 75 einen sehr langen Atem, bis dieses Modell zu einem echten Klassiker gereift ist.  Aber nur Mut. Wer den hat, muss sich in 30 Jahren vielleicht nicht mehr insgeheim den Vorwurf machen: „Hätte ich mal damals einen weggestellt“.

Rainer Beekes, Oktober 2023

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